Die Diskussion um den Begriff der Übersetzung hat eine neue Phase erreicht. War Übersetzung im herkömmlichen Sinn auf eine sprachliche Operation beschränkt, bei der möglichst adäquat Form und Inhalt eines ausgangssprachlichen Textes in einen zielsprachlichen Text übertragen werden, so wird der Begriff zunehmend in modifiziertem Sinne verwendet. Aus einer Domäne von Sprach- und Translations-wissenschaft ist auch ein Thema der Kulturwissenschaft geworden, was wiederum auf das Selbstverständnis der Linguistik zurückwirkte und schließlich zur Etablierung einer eigenständigen Translationswissenschaft führte. „Übersetzung“ wurde zu einem „wandernden Konzept“ (Bal, nach Wagner 2009), das traditionelle Disziplingrenzen überschreitet mit der Folge, dass die Bedeutung erweitert oder verändert und der Ausdruck ambig wird (vgl. Dizdar 2006). Gegenwärtig gehört der Übersetzungsbegriff gleichermaßen in den Themenkreis der Linguistik, der Translationswissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Soziologie, der Geschichtswissenschaft, der Ethnographie und der Kulturanthropologie sowie allgemein der kulturwissenschaftlichen Theorie-bildung, auch wenn er seinen systematischen Ort nach wie vor in Linguistik und Translationswissenschaft hat.
Ziel des Projekts ist es, die begriffliche Spannweite auszumessen, die sich heute mit der Rede vom Übersetzen in den verschiedenen Disziplinen verbindet, den wissenschaftlichen Austausch über die etablierten Fachgrenzen hinaus zu befördern und das analytische Potential der verschiedenen Verwendungsweisen des Wortes „Übersetzung“ in Fallbeispielen auszuloten.